Nachbericht With Full Force 2015
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- Veröffentlicht: Montag, 13. Juli 2015 15:34
"36 Grad und es wird noch heißer" - auch wenn dieser Song wahrscheinlich nicht auf dem Gelände zu hören war, ging er doch sicherlich einigen durch den Kopf. Schließlich fiel die 22. Auflage des With Full Force Festivals (03. bis 05.07.2015) in Roitzschjora nahe Leipzig genau auf das Wochenende mit Rekordtemperaturen.
Freitag
Nach unserer Ankunft am Freitagmittag hieß es "same procedure as every year" - schönen Platz suchen und Zelt aufbauen. Aber irgendwie zwangen uns Temperaturen um die 35° Celsius zu mehreren Pausen, so dass sich der Aufbau etwas in die Länge zog. Da der Wetterbericht noch wärmeres Wetter für das restliche Wochenende voraussagte, war das Aufstellen eines Pavillons unumgänglich. Gut, dass einer zur Verfügung stand. Nachdem das Camp aufgeschlagen war und innere Abkühlung durch die erste Gerstensaftkaltschale erfolgte, ging es zu Betraying the Martyrs aufs Gelände Richtung Tentstage. Das Areal wurde genau wie die letzten Jahre aufgeteilt und die Mainstage befand sich in ca. zwei Minuten Fußweg Entfernung von der Zeltbühne, so dass auch ein schneller Wechsel zwischen beiden Bühnen kein Problem darstellte. Die Franzosen hatten zwar mit einem sehr matschigen Sound zu kämpfen, zeigten aber trotzdem eine motivierte Performance mit viel Bewegung. Der treffsichere Hit aus Disney's Frozen (Die Eiskönigin) "Let it go" durfte natürlich nicht fehlen. Schon schön zu sehen, wie tätowierte, gepiercte und sonstige grimmig schauende Menschen aus voller Kehle den Refrain mitsingen - kennen sie aber bestimmt nur von ihren Kindern oder jüngeren Geschwistern ;)
Anschließend gab es für uns die erste Beschallung von Mainstage in Form der Industrial-Legenden Fear Factory. Den Bereich vor der Bühne füllte eine ansehnliche Menschenmenge und ich bin mir nicht sicher, ob jeder am Ende des Sets vollends mit der Leistung der Band zufrieden war. An der Setlist konnte es nicht gelegen haben, denn diese enthielt neben diversen Klassikern sogar die Live-Premiere eines neuen Songs. Leider wirkte die Band nicht so frisch wie das neue Material sondern eher routiniert bis dezent gelangweilt. Dass Herr Bell noch nie der beste Sänger des Planeten war, steht außer Frage, aber wenn der Rest dies durch zusätzliche Bewegung nicht ausgleichen kann, fällt umso mehr auf, dass der Zenit schon vor Jahren überschritten wurde. Da die Wärme nun ihren Tribut forderte, ging es zur Stärkung wieder zurück zum Pavillon. Sehr positiv muss erwähnt werden, dass die Veranstalter vorbildlich auf die Hitzewelle reagierten und zusätzliche Wasserspender aufstellten sowie die Mitnahme von PET-Flaschen auf das Gelände erlaubten. Die Zahl der Hitzeopfer wäre sonst sicherlich beträchtlich ausgefallen.
Zur Prime-Time fanden wir uns für Enter Shikari im Zelt ein und diese Band macht live wirklich mächtig Laune. Bisher konnten mich die Jungs auf CD noch nicht vollends überzeugen, aber da schon mehrfach von den Live-Qualitäten geschwärmt wurde, war ich doch recht gespannt auf den Gig. Und tatsächlich: Die Gruppe bringt die Massen mit ihrem Mix aus Metal und Elektroelementen richtig in Bewegung und wusste durch Spielfreude und guten Sound zu gefallen. Auch sehr schön anzusehen, wie der Sänger während des Sets an seinem riesigen Synthesizer rumschraubte, um diesen den richtigen Sound zu entlocken. Definitiv eines der Highlights der Wochenendes! Auf der Hauptbühne folgten anschließend die nächsten Pioniere - diesmal allerdings eher im Grind/Death-Bereich: Carcass. Auch wenn die Outfits der Gitarristen eher an Lynyrd Skynyrd erinnerten, präsentierte man sich musikalisch alles andere als Zahm und zeigte, dass man trotz des aufstrebenden Nachwuchses nicht zum alten Eisen gehört. Gleiches lässt sich anhand der Zuschauerreaktionen auch von den Kassierern sagen, die zeitgleich das Zelt mehr als füllten (und laut Zeugenaussagen wieder einiges an Klamotten verloren).
Als Headliner luden Freitagabend die Australier Parkway Drive vor die Bühne und alle folgten der Einladung. Auch wenn die Band nie zu meinen Faves gehören wird, muss man ihnen doch attestieren, dass sie gut Stimmung machen und es wissen die Massen zu bewegen. Auch am Sound und der Show mit Pyros und Konfetti (oder wie man das nennen mag) gab es nichts auszusetzen. Well done.
Wie jedes Jahr folgt am Freitag nach dem Headliner die Knüppelnacht auf der Tentstage. Und die erste Band Belphegor machte dieser Bezeichnung wirklich alle Ehre. Selten habe ich dort eine Band erlebt, die dermaßen erbarmungslos knüppelt und trotzdem Abwechslung zu bieten hat. Auch am Böse-Faktor wurde durch Corpse-Paints, Gasmasken, Tierschädel und grimmigen Ansagen nicht gespart. Wirklich mal eine Band bei der die Chose eher glaubhaft statt albern wirkt. Das positive an hohen Temperaturen tagsüber sind die milden Nächte, so dass wir den Abend gemütlich bei verschiedenen Spirituosen auf dem Zeltplatz ausklingen ließen.
Samstag
Hitze und Staub sind nicht die besten Motivatoren und nach einer kurzen Nacht in unserer Sauna, auch als Zelt bekannt, dauerte es bis nachmittags um vier, bevor wir uns zum Gelände begaben. Leider fehlte dieses Jahr auch Anheizer wie Elsterglanz oder Mambo Kurt, die einen zu früherer Bewegung motivieren konnten. So verpassten wir einen der letzten Auftritte von Texas In July, welche nur noch einige Abschiedskonzerte geben wollen. Dafür waren wir pünktlich um vier vor der Tentstage zu Heart Of A Coward, die durchaus überraschend konnten. Zwar ist das Deathcore-Djent-Gemisch nicht sonderlich innovativ, aber dafür handwerklich gut gemacht. Hat definitiv Potential. Nach einem kleinen Rundgang über das Gelände ließ sich auch das passende Gericht finden, um den Hunger zu stillen. Von Vegan über Vollfleisch wird für jeden Geschmack etwas geboten. Preislich bewegt es sich in den üblichen Festivalregionen und auch der Bierpreis von 3€ für 0,4 Liter wurde konstant gehalten. Trotzdem haben einige sicherlich Wasser bevorzugt, da man kaum soviel trinken konnte, wie der Körper zur Kühlung verbraucht hat.
Ein leichtes Kontrastprogramm zu all den ernsten Bands veranstalteten Äskimo Kohlboi (Schreibweise laut Bühnen-Banner). Poppige Refrains gemischt mit Elektro-Beats sowie Geschrei macht in Verbindung mit der unterhaltsamen Show live richtig Laune. Songmäßig lag der Schwerpunkt eindeutig auf dem neuen Album Crystals. Auch die Menge hatte sichtlich Spaß und der Band war die Freude anzumerken, dass sie es innerhalb weniger Jahre von einem frühen Slot im Zelt in das Abendprogramm der Hauptbühne geschafft haben. Ein Kritikpunkt bleibt dennoch: Etwas weniger Gesang vom Band wäre durchaus wünschenswert. Ansonsten beschwert sich der Autor, dass das N'Sync Cover "Tearin up my Heart" nicht gespielt wurde. Wäre bestimmt ähnlich gut angekommen wie "Let it go" am Tag davor...
Nach einem kurzen Nachtanken am Zelt sowie einer kleiner Melonenschnitzrunde ging es zur den nächsten Urgesteinen Kreator zurück zur Hauptbühne während zeitgleich Defeater das Zelt aufmischten. Kreator boten die allbekannte Show diverser anderer Festivals - nett. Entsprechend Reserven waren noch für den erneuten Headliner Heaven Shall Burn übrig. Die Saalfelder, welche zuletzt als Trikotsponsor von FC Carl-Zeiss Jena auf sich aufmerksam machten, gestalteten die Bühne in Anlehung an Straßenkämpfe u.a. mit Panzersperren. Da war man die Jahre davor deutlich besseres gewohnt, beispielsweise Videoleinwände mit Einspielern passend zu jedem Song. Auch sonst muss dieser Auftritt als eine der schwächeren Shows der Thüringer verbucht werden. Die Setlist war teilweise etwas unglücklich gewählt und insgesamt wirkte es, als sei man im Kopf bei der Produktion des neuen Albums. Laut Ansagen werden sich wegen der neuen Lieder auch einige Songs wie "Voice of the Voiceless" nicht mehr in kommenden Live-Sets wiederfinden. Wir sind gespannt. Zum Abschluss gab es aber den üblichen riesigen Circle-Pit um den Soundturm. Insgesamt ein guter Auftritt - verglichen mit vorherigen Shows aber mit deutlich Luft nach oben.
Unseren Abschluss des Tages bildete die anschließende Knorkator Show im Zelt. Diese erschien wie eine Kurzfassung von der Hauptbühnenshow zwei Jahre zuvor. Einmal im Ball über die Menge gerannt, Fotografen auf die Bühne gebeten und eine sehr ähnliche Setlist. Hauptunterschied: Alf Ators Sohn durfte einige Lieder wie "Böse" intonieren und lieferte trotz des jungen Alters eine gute Figur ab. Was auf der Hauptbühne Spaß macht, funktioniert aber auch super im Zelt, so dass die Berliner einen würdigen Abschluss für den zweiten Tag abgaben.
Sonntag
Sonntag, Tag der Rekordtemperaturen. Während es Samstag nur geringfügig kühler war, fehlte am letzten Tag nun auch noch der Wind, wodurch einen die Hitze regelrecht in die Sitze drückte. Selbst der mittlerweile warme Whisky ging sonst irgendwie besser die Kehle runter. Entsprechend startete auch der letzte Tag erst kurz nach vier für uns. Die Zeit davor überbrückten wir glücklicherweise bereits mit Zeltabbau - eine weise Entscheidung wie sich später noch herausstellen sollte.
Den persönlichen Opener markierten Any Given Day mit ihrem melodischen Metal-Core. Genau wie Heart of a Coward am Vortag stellten die Jungs eine nette Eröffnung dar, ohne jedoch musikalische Glanzpunkte setzen zu können. Am dritten Tag der Legenden traten Obituary auf die Mainstage und bei den Florida-ähnlichen Temperaturen funktioniert die Musik richtig gut. Guter Groove und eingängige Riffs machen selbst bei starker Sonne Spaß. Erstaunlich, dass dem Frontmann John Tardy 38° Celsius anscheinend nicht warm genug waren, da er sich mit einem Baumwollpulli in Stimmung bringen musste. Die Zuschauer drängten sich währenddessen wie Pinguine in den schattigen Bereich vor der Bühne. Allgemein fiel auf, dass das Gelände deutlich leerer war als an den Vortagen. Wahrscheinlich haben einige ihre Rückreise schon eher angetreten oder hatten noch größere Probleme sich aus dem Schattigen ihrer Camps zu bewegen als wir.
Arch Enemy brachten danach die Mainstage zum Kochen und die neue Frontfrau Alissa White-Gluz macht nicht nur optisch eine ausgezeichnete Figur, sondern kann ihrer Vorgängerin auch stimmlich Parolie bieten. Mit Jeff Loomis (ex-Nevermore) haben sich die Schweden zudem mit einem starken zweiten Gitarristen ausgestattet, so dass man sich musikalisch auf einem sehr hohen Niveau bewegt und einige schöne Gitarrenduelle zu bieten hatte. Trotzdem beschleicht mich der Eindruck, dass die Band hat die maximale Reichweite mit ihrer Art des Melodic Death erreicht hat und über eine Weiterentwicklung des Stils nachdenken sollte. Während des Gigs konnte man am Bühnenrand einen interessanten Gast beobachten: Randy Blythe. Das wichtigste daran: Lamb of God mussten sich folglich auf dem Gelände befinden und die Angst, dass der Auftritt wie ein paar Jahre zuvor kurzfristig abgesagt werden musste (Verhaftung, Gefängnisaufenthalt und Freispruch des Fronters), verstreute sich in die nicht vorhandenen Winde. Für mächtig Wirbel vor der Bühne sorgte der Auftritt der US-Fünfers. Gerade Randy Blythe rannte über die Bühne wie der Stier in der Arena und stand ständig unter Spannung. Eine beeindruckende Performance eines der besten Frontmänner der Szene. Selbst der anfänglich etwas demotiviert wirkende Gitarrist ließ sich bei fortlaufender Spielzeit davon anstecken und hatte während der Circle-Pits zu "Laid to Rest", "Redneck", etc. sichtlich Spaß. Klasse Gig der die mittlerweile doch etwas erschöpfte Menge noch einmal richtig in Bewegung brachte.
2012 spielten Suicide Silence einen ihrer letzten Auftritte mit Sänger Mitch Lucker, welcher vier Monate später verstarb. Drei Jahre danach sind sie mit neuem Album und Frontmann zurück. Der nicht gerade unbekannte ex-All Shall Perish Fronter übernimmt fortan das Mikro und hat trotzdem große Erwartungen zu erfüllen. Dass der Status der Band etwas gefallen ist, zeigte sich daran, dass die Band wieder ins Zelt verfrachtet wurde, statt wie früher vor der gut gefüllten Mainstage zu spielen. Das erstaunlich wenig gefüllte Zelt bestätigte die Annahme der Organisatoren. Eventuell spielte aber auch die frühe Abreise einiger Besucher eine Rolle. Trotzdem oder gerade weil sie es sich wieder beweisen müssen, legte die Band einen amtlichen Gig hin. Was auf Platte teilweise etwas eintönig wirkt, bläst live alles weg. Der Circle-Pit umspannte mehrere Säulen im Zelt und auch Eddie Hermida macht einen formidablen Job - selbst wenn ich ihn persönlich bei den melodischeren All Shall Perish besser fand. Nach diesem Gig wurden sicherlich einige Fans hinzugewonnen. Bei dem vorletzten Song kündigte der Sänger an, dass die Band aufgefordert wurde, aufgrund eines aufziehenden Sturmes das Set zu beenden. Da als nächstes "You can't stop me" folgte, klang es zunächst eher nach einer witzigen Ansage. Ein Blick aus dem Zelt zeigte jedoch, dass diese alles andere als spaßig gemeint war. Tiefschwarze Wolken verdunkelten den Himmel. Trotzdem gab es zum Abschluss noch YOLO zu hören - irgendwie passend, wenn man einfach weiterspielt. Nachdem der letzte Akkord verklungen war, machten wir uns schnell auf Richtung Campingground und sahen bereits die nahenden Blitze in der Ferne. Das restliche Gepäck wurde in Auto geworfen und mit dem einsetzenden Starkregen saßen wir glücklicherweise bereits im Trockenen. Aus In Flames wurden In Rain und den Veranstaltern blieb nichts anderes übrig, als den Sonntagsheadliner abzusagen und auch die Last Supper Bands nicht mehr auf die Bühne zu lassen. Durch das schnelle Reagieren wurde aber verhindert, dass jemand ernsthaft zu Schaden kam. Großes Lob hierfür!
Während wir durch uns durch die Regenmassen auf die Heimreise begaben, ließen wir das Festival nochmal Revue passieren. Fazit: Klasse wie jedes Jahr, tolle Bands, sehr gute Orga, aber nächstes Jahr bitte mit Sonntagsheadliner und ein paar Grad weniger. Man findet aber auch immer was zu meckern ;)